Seit 15 Jahren beschäftigt sich Dr. Karin Waringo mit der Situation von Minderheiten in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Viele Menschen wollen aus der Armut flüchten, erhoffen sich in Deutschland ein besseres Leben. Doch diese Armut habe Gründe, sagt Waringo.

Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen als “sichere Herkunftsländer” eingestuft werden, wer von dort kommt, wird kaum noch Chancen auf Asyl haben. Was macht ein sicheres Herkunftsland aus?

Für die genaue Bestimmung, was ein sicheres Herkunftsland ist, gibt es umfangreiche, rechtliche Kriterien. Prinzipiell kann man aber zusammenfassen, dass ein Land als sicher eingestuft werden kann, wenn man davon ausgehen kann, dass die Menschenrechte dort generell eingehalten werden, dass es keine politische Verfolgung dort gibt und dies auch auf Dauer so bleiben wird.

Welche Konsequenzen hätte diese Einstufung für Asylbewerber?

Wenn feststeht, dass ein Asylbewerber aus einem Land kommt, das als sicheres Herkunftsland eingestuft wird, wird der Antrag zunächst als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt. Derjenige muss dann beweisen, dass diese Vermutung nicht gilt und er dennoch bedroht wird. Wird der Antrag dann abgelehnt, muss der Antragsteller binnen einer Woche ausreisen. Er kann zwar Widerspruch einlegen, doch der hat keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, dass der Antragsteller gegebenenfalls im Ausland darauf warten muss, ob die Ablehnung seines Asylantrags aufgehoben wird.

In Ihrer Dokumentation “Serbien – ein sicherer Herkunftsstaat von Asylsuchenden in Deutschland?” berichten Sie ausführlich darüber, dass Serbien keineswegs als sicher eingestuft werden können. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Ich beschäftige mich seit etwa 15 Jahren mit der politischen und sozialen Situation in den Ländern, die heute als westlicher Balkan bezeichnet werden. Seit etwa zehn Jahren beschäftige ich mich insbesondere mit der Situation der Roma in diesen Ländern und mit der Situation der Roma, die aus diesen Ländern geflüchtet sind. Doch insbesondere das eine Jahr, in dem ich ich in Montenegro gelebt habe, hat mir gezeigt, wie die Realität vor Ort wirklich aussieht. Wird dort beispielsweise jemand auf offener Straße angegriffen, ist es nicht wie hierzulande üblich, gleich zur Polizei zu gehen. Dies gilt insbesondere, wenn der Betreffende einer Minderheit angehört. Er riskiert nicht nur, dass seine Anzeige nicht ernst genommen wird, sondern auch, dass er am Ende sogar als Schuldiger dasteht. Personen, die ethnischen Minderheiten angehören, insbesondere Roma, werden gesellschaftlich ausgegrenzt und diskriminiert. Die gleiche Diskriminierung gilt auch Homo- und Transsexuellen, die ihre sexuelle Einstellung verstecken müssen, wenn sie ihre Arbeit oder Wohnung behalten wollen. Insbesondere in Serbien kommt es immer wieder zu Gewalt gegen diese Gruppen.

Wie stehen Öffentlichkeit und Presse zu solchen Vorfällen und Ausgrenzungen?

Vorurteile gegen Minderheiten sind in diesen Ländern weit verbreitet. Dazu muss man auch sagen, dass die allgemeine wirtschaftliche Situation in diesen Ländern schlecht ist. Zum Teil hat die Mehrheitsbevölkerung sogar das Gefühl, dass sich zu viel um Roma und zu wenig um andere gekümmert wird. Bei Homosexuellen ist die Sache noch etwas anders. Viele Menschen meinen, dass Homosexuelle krank seien und behandelt werden müssten. Medien und Politiker tun leider sehr wenig, um diese Vorurteile zu bekämpfen, sondern heizen sie noch an. Auch die Medien stehen unter Druck und können nicht frei berichten. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Angriffen auf Journalisten, die kritisch über bestimmte Vorfälle, wie beispielweise Korruption aber auch Kriegsverbrechen berichteten.

Was halten Sie von dem Argument der Bundesregierung, dass der Gesetzesentwurf dabei helfen soll, unberechtigte Asylanträge auszusortieren – Anträge, die beispielsweise nur aus wirtschaftlichen Gründen eingehen?

Die meisten Asylbewerber aus diesen Staaten sind Roma. Viele von ihnen leben in einer Situation extremer Armut. In Mazedonien sind das 23 Prozent, also knapp ein Viertel. Das bedeutet, dass sie sich oft nicht einmal ernähren können. Sie hoffen in Ländern wie Deutschland ein normales Leben führen zu können, eine Arbeit zu finden und ihre Kinder zur Schule schicken zu können. Einige leiden auch an chronischen Krankheiten, die sie behandeln wollen.

Sind es aber dann nicht vor allem wirtschaftliche Motive?

Nein. Man muss sich nämlich fragen, wie es zu dieser Armut kommt. Das Problem wird erst durch die gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung geschaffen. Viele Romakinder brechen die Schule vorzeitig ab, weil sie ihren Eltern helfen müssen, die Familie zu ernähren. Sie sammeln zum Beispiel Plastikflaschen und Altpapier, um sie zu verkaufen. Roma haben kaum eine Chance, eine normale Arbeit zu finden. Auch im Gesundheitssystem werden sie ausgegrenzt.

Sie waren eine der Experten bei einer Anhörung im Bundestag am 23. Juni 2014. Welche Einschätzung haben Sie dort zum geplanten Gesetzentwurf der Bundesregierung gegeben?

Ich halte den Gesetzentwurf für ein falsches Signal. Er legitimiert die soziale Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten in den betreffenden Staaten und entlässt die Regierungen aus ihrer Verantwortung. Für Personen aus diesen Staaten wird es fortan noch schwieriger, ihr Recht auf Schutz vor Verfolgung geltend zu machen. Zugleich wird es aber auch schwieriger werden, die Staaten dazu anzuhalten, Menschenrechte zu respektieren.

 

Datum: 27.06.2014

 

Quelle: Mitmischen.de